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Bester Einkauf unter 100 Euro #7: Tubeless-Umrüstkit

Der Radsport ist geprägt von Dogmen. Oft in fast religiösem Ausmaß. In diesem beinahe autobiografischen Text schildere ich, wie ich in der Frage der Reifenwahl einen dieser Glaubenssätze hinter mir lassen durfte und nach Jahren der Bekenntnistreue zu Tubeless konvertiert bin. Vielleicht trägt diese Erfahrung dazu bei, den einen oder anderen Traditionalisten ebenfalls zu weniger Rollwiderstand, mehr Pannensicherheit und deutlich mehr Komfort zu bewegen... und das für klar unter 100 Euro.

 

Fahrradreifen. Notizen eines Unbelehrbaren

 

Eigentlich war’s ein Freundschaftsdienst. Nachdem ich meinen Kumpel Paul monatelang vertröste, gibt es keinen Ausweg mehr. Ich muss mir Tubelessreifen montieren lassen. Paul besteht darauf. Eigentlich sollte mir seine Vehemenz zu denken geben, war er doch selbst bis zuletzt Verfechter der wahren Lehre:

Schlauchreifen sind die einzige Option für einen Rennfahrer. Und wer kein Rennfahrer ist, hat Clincher zu fahren. Mit Schlauch. Tubeless ist ein Marketing-Gag und Profitmaximierung der Industrie. Punkt! Unsere Anschauungen haben sich immer gedeckt. Ich bin mit religiösem Fanatismus Schlauchreifen gefahren. Hatte immer ein paar Garnituren auf alten Felgen eingelagert. Rollwiderstand war früher weniger Thema, eher Notlaufleistung und Grip in den Kurven. Vor allem die Notlaufleistung war ein vernünftiges Argument. Durch die geschlossene Bauart konnte im Schadensfall weniger Luft entweichen, und der platte Reifen hat sich so über die Felge gelegt, dass man damit zumindest noch sicher stehen bleiben konnte … Fakten, die aus unserer Sicht nur Ahnungslose anzweifeln können.

Jetzt steh ich in Pauls Werkstatt, halte mich zweifelnd an meinem Bier fest und schaue zu, wie die Umrüstung abläuft. Ich staune: Gepatze und kompliziertes Herumgeeiere sind Gerüchte. Es geht einfach. Wirklich! Gerade wenn man bedenkt, wie schwierig es geworden ist, unter die bockigen Reifen einen Schlauch zu fädeln… Die letzten Zweifel verschwinden nach ein paar Tagen bei einem Blick aufs Manometer. Kein Luftverlust. Bislang auch keine Pannen.

Was ich jahrelang verteidigt habe, ist überholt. Und zwar für immer. Glauben Sie mir.

Wer mir diese Erkenntnis trotzdem nicht abnimmt, kann sich gerne ansehen, wie lange ich dafür gebraucht habe.

 

Erfahrungsbericht eines Unbelehrbaren:

 

1990:

Ich bekomme mein erstes Rennrad. Ein Basso mit Columbus-Aelle-Rohren. UND: ganz schmale und unglaublich harte Reifen. 19 mm. 9 Bar. Vittoria Roma. Ein wichtiger Booster für mein zwölfjähriges Ego. Wer auch immer mein Rad besichtigt, bestaunt die Reifen. So schmal. So hart … Darauf war ich stolz.

 

1991:

Bei der Weihnachtsfeier meines Clubs RC Traun bekommen alle einen Trainingsanzug. Als augenscheinlich untalentierter Neueinsteiger, dem man keine Zukunft im Radsport zutraut, bekomme ich zwei Reifen. Barum aus Tschechien. Billig, aber leider nicht mit meinen Drahtreifenfelgen kompatibel. Ich weine mir die Augen aus meinem Bubengesicht …

 

1992:

Ich montiere 18-mm-Reifen auf mein Bianchi. Echte Asphaltschneider. Mit einem Reifendruck von 10 Bar und mehr fühle ich mich extrem schnell … Bin es auch. Trotz der Reifen.

 

1993:

Von meinem Nationalteamkollegen Jochen Summer lerne ich: Auf ein Rennrad gehören Schlauchreifen. „Geklebte“. Er hat das von seinem Vater gelernt, der in den 70ern selbst Rennfahrer war.

 

1994:

Ich mache einen großen Karriereschritt und besitze endlich eine Laufradgarnitur für Schlauchreifen. Nachdem mein Papa kein ehemaliger Rennfahrer, sondern gelernter Büromaschinenmechaniker ist, weiß ich nicht, wie groß die Unterschiede bei den Reifen sind, und kaufe die günstigsten.

Noch schlimmer: Ich bin auch kein Meister im Aufkleben. Die Reifen laufen unruhig … Unruhig wird auch meine Frau Mama: Der Reifenkitt hinterlässt Spuren an meinen Jeans. Rotbraun. In Kniehöhe. Und auf meinen Fingern …

 

1995:

Ich liege beim Kriterium in Traun in Führung. Kein Wunder, immerhin bin ich nicht nur der "Local Hero", sondern auch einer der ganz wenigen Fahrer mit Carbonlaufrädern. Schlauchreifen, eh klar. Leider springt mir der Reifen von der Felge. Schlecht aufgeklebt! Das Rennen verliere ich dadurch, dafür gewinne ich das Herz einer schönen Zuschauerin …

 

1996:

Ich beende das Projekt Schlauchreifen und widme mich wichtigeren Dingen. Sonnenbrillen und Style ganz allgemein.

 

2002:

Mein Teamchef Hubert Stankovsky spricht ein Machtwort. Im Rennen nur mit Schlauchreifen. „Was machst denn, wenn du vom Großglockner runterfährst und plötzlich die Luft ausgeht …?“

 

2003–2007:

Ich bin bekehrt und fahre nur mehr Schlauchreifen. Conti Competition 22 mm am liebsten. In meiner Werkstatt hängen immer ein paar alte Laufräder, auf denen ich die Reifen lagere. Reifen reifen lassen quasi.

 

2011–2018:

Ich arbeite hauptberuflich im Radsport und fahre die Reifen der jeweiligen Ausrüster. Völlig unreflektiert… es gibt Wichtigeres.

 

2018:

Mallorca-Trainingslager. Ich lache mich kaputt. Einer meiner bekanntesten „Kunden“ fegt das Tubeless-Projekt unseres Ausrüsters mit schelmischer Grauzonenakrobatik vom Tisch. Wir fahren weiter mit Innenschlauch.

 

2019:

Die lokalen Legenden der Matten-Eder-Truppe laden mich ab und zu zu einer Ausfahrt ein. Nachdem ich bergauf im Mittelfeld kämpfe, mache ich mich in der Glasau (Anm.: 9 km bergab Richtung Linz, ohne Kurven) ganz klein und lass es rollen … Spiele meine ganze Klasse aus. Keiner kann bei mir am Hinterrad bleiben. In Wahrheit liegt es nur daran, dass ich Zeitfahrreifen unseres Sponsors Specialized verwende. Deren Rollwiderstand ist unschlagbar … Die Performancerelevanz von Reifen ist für mich wieder Thema.

 

2021:

Ich baue immer breitere Reifen in mein Tarmac SL6. Ich will mehr auf Schotter fahren. Every bike is a gravel bike!

 

2022:

Size matters. Je breiter, desto gut. Als frisch gebackener Radwandereur wuchte ich 40-mm-Reifen auf mein Wanderrad. Herrlich. Mit Schlauch. Eh kloa … bin ja nicht doof und fang mir die Patzerei mit der Milch an.

 

2023:

Ich habe das perfekte Setup gefunden. 40-mm-Gravelslick von Vittoria mit Schlauch.

 

2024:

Ich kaufe einen Vorrat an Schläuchen bei HG-Bike. Jürgen, der kundige Verkäufer, rümpft die Nase und hält mir einen zehnminütigen, emotionalen TED Talk. Anders als sonst reagiere ich nicht mit aggressiver Arroganz, sondern beginne erstmals nachzudenken. Ein bisserl schäme ich mich auch, weil ich so verbohrt bin …

Wir einigen uns auf einen Kompromiss: Ich kaufe orange Hightech-Schläuche… (Deren Vorteil mir bis heute verborgen bleibt. Egal!)

 

2025:

Nach einem Rahmenriss bin ich gezwungen, mir ein neues Rad zu leisten. Mein Freund Paul setzt mir ein Ultimatum: „Sobald du das neue Rad hast, montiere ich dir Tubelessreifen.“ Ausflüchte zwecklos. Ich gebe mich geschlagen … und habe es nicht bereut und gebe offen zu: Meine Weisheiten aus 35 Jahren Radsport waren längst überholt.

 

2025, Spätherbst:

Im Zug am Weg zu einer Radwanderung hört einer meiner Freunde, dass ich zu Tubeless konvertiert bin. Er fragt: „Chris, ist die Hölle mit Eis zugefroren?“

Ich muss lachen und nicke bekennend.

 

copyright: Christian Pömer Praxis für Psychologische Beratung Führungskräfte-Coaching & Sport Mentaltraining in Linz und Bad Ischl/Oberösterreich

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Reifenkitt. Zustand: gebrauchsfähig. Weltanschauung: veraltet.
Reifenkitt. Zustand: gebrauchsfähig. Weltanschauung: veraltet.