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Coaching #14: Die soziale Hängematte im Radsport: Warum auch Profis nicht immer alles geben

Radsport wird oft als Musterbeispiel für Teamwork und Selbstlosigkeit dargestellt. Doch das entspricht nicht immer der Realität. Besagte Eigenschaften entstehen nicht von selbst, sondern sind das Ergebnis kompetenter Führung. Denn eigentlich bietet ein Radteam alle Voraussetzungen für ein Phänomen, das in der Psychologie als soziales Faulenzen bezeichnet wird: Wenn die individuelle Leistung nicht genau beurteilt werden kann und sich Teammitglieder auf die Gruppe verlassen, reduzieren sie ihre Anstrengung. Unbewusst!

Was ist soziales Faulenzen?

Soziales Faulenzen (social loafing) beschreibt die Tendenz, in Gruppen weniger Einsatz zu zeigen, wenn die individuelle Leistung nicht bewertet werden kann. Dieser Effekt, erstmals von Bibb Latané und Kollegen (1979) beschrieben, ist kein bewusster Akt. Vielmehr handelt es sich um einen automatischen Prozess: Menschen bringen weniger Anstrengung auf, wenn sie wissen, dass ihre persönliche Leistung innerhalb der Gruppe nicht auffällt.

Ein anschauliches Beispiel dafür ist das Tauziehen: Selbst wenn alle Teilnehmer die gleiche körperliche Leistungsfähigkeit haben, setzen sie in einer Gruppe oft nicht ihre maximale Kraft ein. Der Grund: Die individuelle Anstrengung bleibt verborgen, und die Verantwortung wird auf die Gruppe verteilt.

Der Ringelmann-Effekt: Eine frühe Entdeckung

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts untersuchte der französische Agraringenieur Max Ringelmann dieses Phänomen. In einem Experiment ließ er Gruppen mit maximaler Kraft an einem Tau ziehen und stellte fest, dass die Gesamtleistung der Gruppe nicht der Summe der Einzelleistungen entsprach. Je größer die Gruppe, desto weniger leisteten die einzelnen Teilnehmer. Ringelmann erklärte dies zunächst mit Koordinationsproblemen innerhalb der Gruppe. Spätere Forschung zeigte jedoch, dass Motivationsverluste eine ebenso große Rolle spielen.

Soziales Faulenzen im Radsport

Im Radsport hat soziales Faulenzen besondere Relevanz. Als Teamsportart, bei der die Anstrengung einzelner Athleten nicht direkt messbar ist, sind wir besonders gefährdet. Ein anschauliches Beispiel: Bei leichten oder mittelschweren Etappen in Grand Tours sind Individualleistungen kaum zu bewerten. Besonders bei Teams ohne Sprinter. TV-Übertragungen geben oft wenig Aufschluß und selbst anhand der Wattwerte ist schwer erkennbar, ob ein Athlet wirklich alles gegeben hat….

Zu wissen, dass die individuelle Anstrengung nicht entscheidend ins Gewicht fällt, kann die Motivation zusätzlich mindern.

Als Sportlicher Leiter versuche ich bei jedem einzelnen Rennfahrer zu verhindern, dass sich das Gefühl einschleicht, andere könnten den eigenen Mangel an Anstrengung ausgleichen – selbst wenn dies unbewusst geschieht.

Bei einer Fahrzeit von gut 80 Stunden, nach denen Sieger und Verlierer nach drei Wochen oftmals nur durch ein paar Sekunden getrennt sind (es sei denn, Pogi ist am Start), kann genau dieses „Abducken“ den entscheidenden Unterschied machen.

Wie verhindere ich als Führungskraft soziales Faulenzen

Mein wichtigster Ansatzpunkt ist es, auch bei vermeintlich unwichtigen Etappen jedem Fahrer eine sehr genaue Aufgabe zu geben, idealerweise eine, bei der er das Gefühl hat, auch für seine persönlichen Interessen zu kämpfen. Sich selbst zu verwirklichen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt für mich ist, den jeweiligen Leader zu ermuntern, immer ehrliches Feedback zu geben. Im Debriefing. Vor versammelter Runde. Natürlichen Leadern fällt das leicht. Davon gibt es aber wenige. Viel häufiger ist es meine Aufgabe als Sportlicher Leiter, die nötigen Informationen zu sammeln und meinem Anführer zu zeigen, wie er am wirkungsvollsten Feedback geben kann.

Ein psychologisches Phänomen, das soziales Faulenzen verhindern kann, ist der Köhler-Effekt. Dieser tritt auf, wenn die Mitglieder einer Gruppe die Leistungsunterschiede als gering wahrnehmen. In solchen Fällen steigt die Motivation, weil sich niemand leisten kann, die Gruppe „im Stich zu lassen“.

Im Radsport lässt sich dieser Effekt gezielt nutzen, indem man besonders homogene Mannschaften aufstellt. Ich bin überzeugt, dass das Quickstep-Team in seinen besten Jahren genau von dieser Dynamik profitiert hat.

Ausblick

Neben sozialem Faulenzen gibt es auch den gegenteiligen Effekt. Situationen, in denen die Anwesenheit anderer die Leistung steigert. Dieses Konzept, bekannt als soziale Erleichterung, werde ich in einem weiteren Blogpost genauer beleuchten.

(vgl. Brand, R. (2010). Sportpsychologie: Grundlagen und Anwendung. VS Verlag, S. 97-99)

Verwendetes Bild wurde mit künstlicher Intelligenz erstellt. Der Text weitestgehend mit Durchschnittlicher ;-)

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