Coaching #12: Forscher stellt Radcomputer in Frage
Radfahren ohne aufgabenbezogenes Feedback: Auswirkungen auf Pacing und Performance. Lautet der hochgestochene Titel der Studie, die ich mir heute ansehe. Ziel dieser Forschungsarbeit war es herauszufinden, wie sich das Wegnehmen aller auf gängigen Fahrradcomputer verfügbaren Leistungsdaten (z.B. Puls, Geschwindigkeit, Watt, Kadenz, sowie gefahrene Zeit und Distanz) auf die Fahrzeiten sowie die Pacingstrategie bei einem 20km Zeitfahren auswirkt.
Chris Froome ist es zu verdanken, dass jeder, auch wenn er nur ein paar Tour Etappen im Jahr schaut, erahnen kann, wie wichtig Fahrradcomputer für Radprofis sind. Auf seinen vier Triumphfahrten durch Frankreich hat der Brite nur selten den Blick von seiner "Headunit" genommen. Und so eine Generation von Radsportlern geprägt. Umsonst! Glaubt man nämlich der Studie von Benjamin Smits und Kollegen, hätte sich Froomey ruhig mehr an der bezaubernden französischen Landschaft erfreuen können, anstatt stur seine Leistungsdaten zu beobachten. Die Forscher kommen nämlich zum Schluss, dass Garmin und Co. keine signifikanten Vorteile bringen. Zumindest beim “contre-la-montre”….
Das Forschungsdesign
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Die Untersuchung wurde im Rahmen eines 20km Zeitfahrens auf einem Rollentrainer durchgeführt. Davor wurden die 20 Versuchsteilnehmer in zwei Gruppen geteilt. Eine Gruppe hatte Zugang zu allen verfügbaren Leistungsdaten (FF). Die andere musste völlig ohne dieses “aufgabenbezogenen Feedback” auskommen (NoF).
Für mich sehr überraschend konnten zwischen beiden Gruppen keine signifikanten Unterschiede in der “Performance Zeit” sowie der wahrgenommenen körperlichen Anstrengung (RPE) gemessen werden. Die einzige statistisch relevante Abweichung war, dass die Probanden aus der FF Gruppe gegen Ende der Belastung einen Endspurt angezogen haben.
Die Forscher schlussfolgern, dass “Vorwissen über die Anforderungen einer Aufgabe zusammen mit der Wahrnehmung körperlicher und umweltbezogener Informationen für erfahrene Athleten ausreichen kann, um vergleichbare Leistungen bei Zeitfahr Wettkämpfen zu erzielen.” Weiters stellen sie die Notwendigkeit in Frage, während eines Rennens sofortiges, aufgabenbezogenes Feedback über externe Geräte zu erhalten, um die Leistung zu maximieren.
Das Forschungsergebnis in der Coaching Praxis
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Nun ja. Ich möchte mir keinesfalls anmaßen, die Ergebnisse der Wissenschafter in Frage zu stellen. Ich entschuldige mich sogar für meine süffisant augenzwinkernde Bemerkung in Zusammenhang mit Chris Froome. Dieses Fazit vereinfacht aber zu stark um es unkommentiert stehen zu lassen. Vorallem weil der Forscher in der Beschreibung des "Research Design" Grand Tours erwähnt!
Aus einer Studie mit einer Stichprobengröße von 20 überhaupt zu schlussfolgern halte ich für fragwürdig. Abgeleitet von einem 20 km Zeitfahrtest unter Laborbedingungen -noch dazu mit gleichbleibender Belastung - die Bedeutung von Leistungsmonitoren bei Pacingentscheidungen in Frage zu stellen, finde ich ebenfalls mehr als gewagt.
Aus meiner Sicht ist hier die schablonenhafte Anwendung des Begriffs “Pacing” der springende Punkt.
Im Sport Kontext beschreibt Pacing die auf einen Endpunkt bezogenen Einteilung energetischer Reserven. Sichtbar wird Pacing in den Leistungs- bzw. Geschwindigkeitsfluktuationen im Belastungsverlauf. (vgl. Uni-Wuerzburg.de)
Letztendlich ist natürlich auch die Tempowahl bei einem 20km Zeitfahren auf einem Rollentrainer eine Pacing-Entscheidung. Aber eine sehr, sehr simple. Wesentlich komplexer wird die Sache bei "echten Zeitfahren", also in “freier Wildbahn”. In der Praxis spiegelt sich das z.B. in der Tatsache wider, dass ein WorldTeam wie Red Bull - BORA - hansgrohe drei (!) Experten beschäftigt, die Pacing-Strategien für Rennen gegen die Uhr ausarbeiten. Und Anstiege, Abfahrten, Antritte sowie wechselnde Windverhältnisse machen es selbst für unsere erfahrenen Ingenieure schwer, die richtigen Empfehlungen zu geben.
Zu denken, dass ein Radsportler bei Zeitfahren, egal ob im Nachwuchs-, Amateuer- oder Profibereich ohne Leistungsdaten, gleich schnell fährt wie mit einem voll ausgerüsteten Cockpit ist ziemlich mutig…. auch wenn unsere Studie genau das nahelegt. (Dazu kommt noch, dass Rennfahrer auch die Strecke auf der GPS Unit haben. Um den Kopf unten lassen und bis zum Bremspunkt in Aero Position bleiben zu können.)
Anwendung im Coaching von Weltklasseathleten
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Ich werde die Studie in Zukunft trotzdem gerne nutzen. Als Freibrief. Wenn beim Kampf gegen die Uhr wieder mal Alarmstufe rot ist, weil bei einem meiner prominenten Kunden Powermeter oder Brustgurt gestreikt haben, werde ich ihm die Arbeit von Herrn Smits unter die Nase halten. Und bin somit sicher fein raus. "Scientifically Proven"!!!
Quelle: Smits BLM, Polman RCJ, Otten B, Pepping G-J and Hettinga FJ (2016) Cycling in the Absence of Task-Related Feedback: Effects on Pacing and Performance. Front. Physiol. 7:348. doi: 10.3389/fphys.2016.00348
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