Tourdenken #5: Der letzte Wille
Es geht in die letzten Bergetappen. Die Positionen sind bezogen. Was am Beginn der Tour ein strategisches Schachspiel war, ist längst zu einem brutalen Kampf geworden. Mann gegen Mann. Anstieg für Anstieg. Höhenmeter um Höhenmeter. Was jetzt zählt, ist nicht taktische Finesse oder ökonomische Fahrweise. Es zählt nur noch eines: die bloße Willenskraft. Und der Wille ist wie ein Muskel. Er ermüdet! (Baumeister et al., 2000)
Darum bemühe ich mich in der finalen Phase einer Grand Tour beim Coaching vor allem um eins: den Willen der Rennfahrer zu stärken. Das Leiden erträglicher zu machen. Kreativ zu sein. Denn jeder Faktor, der die wahrgenommene Anstrengung reduziert, kann die Ausdauerleistung steigern.
Die Grenzen des Arbeitsgedächtnisses nutzen
Wie schon in Tourdenken #2 verraten versuche ich, bei den dynamischen, meist hochtechnischen Flachetappen zu Beginn der Tour im Funk wenig zu sprechen. Die begrenzten Aufmerksamkeitsressourcen nur ja nicht für Unwichtiges zu binden.
Bei Bergetappen gilt genau das Gegenteil. Ich mache mir die begrenzte Ressourcenkapazität des Arbeitsgedächtnisses bewusst zunutze. Erzwinge eine Überlastung. Denn wenn man das Arbeitsgedächtnis gezielt überlastet – durch emotionale Ansprache, durch einfache, aber eindringliche Kommandos – bleibt schlicht keine Kapazität mehr für sogenannte dysfunktionale Kognitionen. Unnütze Gedanken. Kein Raum für „Ich kann nicht mehr“. Der innere Schweinehund wird mundtot gemacht.
Musik als Taktgeber und Reizfilter
Übrigens: Ähnliche psychologische Mechanismen wie die Anfeuerungsrufe durch den Teamfunk machen auch Musik zu einer wirkungsvollen Mentalintervention. Konkret kann Musik die Anstrengungswahrnehmung um 10 % senken – allerdings nur bei niedriger und mittlerer Intensität. Zumal diese Wirkung bei Belastungen oberhalb der anaeroben Schwelle fast völlig ausbleibt, muss ich als Sportlicher Leiter zumindest nicht zum DJ werden …
Aufgaben mental portionieren
Stattdessen verwende ich einen anderen Mentaltrick: das sogenannte Chunking. Also das Portionieren der Monsterberge in kleinere Einheiten. Dazu suche ich in meiner Rennvorbereitung nach markanten Punkten in den Anstiegen. Manchmal sind das Flachstücke, manchmal Kurven oder einfach nur die verbleibende Fahrzeit. Hauptsache, der Fokus der Rennfahrer wandert weg vom letzten Gipfel. Denn der ist gerade in der finalen Tour-Woche oft bedrohlich fern …
Mentale Strategien für zähe Phasen
1. Weniger Anstrengung spüren, länger durchhalten
Jeder Faktor, der die wahrgenommene Anstrengung senkt, kann die tatsächliche Ausdauerleistung verbessern. Das bedeutet: Wer sich Aufgaben bewusst leichter macht, wird mehr leisten.
2. Die Grenzen des Arbeitsgedächtnisses nutzen
Wenn es zäh wird, drängt sich der innere Schweinehund oft in den Vordergrund. Doch unser Arbeitsgedächtnis ist begrenzt – wer es gezielt mit einem inneren Text, einem Mantra oder einem Podcast füllt, entzieht dem Schweinehund die Bühne.
3. Musik als Taktgeber und Reizfilter
Musik kann die wahrgenommene Anstrengung um bis zu 10 % senken – und so die Leistung steigern. Sie lenkt ab, reguliert Emotionen, hebt die Stimmung. Kurz: ein wirkungsvoller Mental-Hack.
4. Aufgaben mental portionieren
Komplexe Aufgaben wirken überfordernd, wenn man sie als Ganzes betrachtet. Wer sie in sinnvolle Abschnitte gliedert, schafft Übersicht und bleibt motiviert. Das gilt nicht nur für Bergetappen bei der Tour de France, sondern besonders auch für monotone Aufgaben im Alltag.
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